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Whiskey Lullaby Page 16


  »Du hast sicher einen Grund, um diese Zeit hier einzubrechen. Oder vielleicht sollte ich die Polizei rufen und dich wegen unbefugten Betretens festnehmen lassen. Du bist ja im Moment beim Sheriff nicht besonders beliebt, habe ich mir sagen lassen.« Nick stöhnte und wich zurück. »Dazu wärst du auch noch fähig«, sagte er und hob die Hände zum Zeichen der Niederlage. »Ich bin vorbeigekommen, um nach dir zu sehen und sah, dass dir jemand gestern Abend ein Geschenk unter der Tür durchgeschoben hat.« Nick hielt einen einfachen braunen Umschlag hoch, der mit soviel Klebeband umwickelt war, dass er eine Atlantiküberquerung überstanden hätte.

  Ich zog das Laken vom Bett weg und band es mir um wie einen Sarong. »Zeig her«, sagte ich und streckte die Hand aus.

  »Ehm, ehm. Zieh dich mal anständig an, dann schauen wir, was drin ist.« Er schob mich zurück und schlug mir die Schlafzimmertür vor der Nase zu.

  Ich schlüpfte in schwarze Shorts und ein weißes Top und war draußen im Wohnzimmer, bevor er Zeit hatte, die Kaffeekanne aufzustellen. Ich hatte die Nase voll von demjenigen, der mir diese kleinen Geschenke hinterließ. Ich war stinksauer und kampfbereit. Ich nahm mir vor, einen Karatekurs zu belegen, sobald ich mich für die Detektivlizenz anmeldete.

  Ich setzte mich an meinen kleinen Küchentisch und wartete, bis Nick mir eine Tasse Kaffee brachte und sich gegenüber hinsetzte, bevor ich meine Hand nach dem Umschlag ausstreckte.

  »Warum ist das schon wieder passiert?«

  »Heute nacht habe ich jede Stunde Polizeibeamte an deinem Haus vorbeifahren lassen; das hier hat also jemand zwischen den stündlichen Kontrollfahrten dagelassen, nachdem ich dich heimgebracht hatte. Warum es passiert ist, kann ich nicht sagen, aber ich bin fast dran. Ich hab das so im Gefühl.« Ich ging in die Küche, nahm ein Messer aus der Schublade und bearbeitete die obere Lasche, aber meine Hände zitterten so sehr vor Wut und Angst, dass Nick mir vorsichtig das Messer abnahm.

  »Lass mich das machen«, sagte er sanft.

  Er schlitzte den Umschlag auf, kippte einen kleinen Stapel Fotos auf den Tisch und steckte dann den Umschlag in eine kleine wiederverschließbare Plastiktüte.

  »Toll, noch mehr Bilder«, sagte ich. »Warum habe ich bloß das Gefühl, dies sei mehr als eine alte Rivalität aus der Schulzeit? Veronica kann mich doch gar nicht so sehr hassen.« »Man weiß nie, was in den Köpfen anderer Leute vorgeht und wie sich ihre Erlebnisse auf ihr Leben ausgewirkt haben. Aber es wäre naiv, nur Veronica auf deine Verdachtsliste zu setzen. Du hast bestimmt mehr als einen Menschen in deinem Leben verärgert«, sagte er und grinste spitzbübisch.

  »Du sollest wissen, dass ich ein sehr netter Mensch bin. Meistens zumindest«, murmelte ich.

  »Bitte schau dir jedes einzelne Bild genau an«, sagte er und nahm ein kleines Notizbuch und einen Stift aus seiner Jackentasche. »Wurden die Bilder vor Kurzem aufgenommen?« Ich nahm das erste Bild und versuchte, mein Abbild emotionslos zu betrachten. Ich war mit Kate beim Abendessen im Good Luck Café. Wir saßen am Fenster und das Bild war aus einiger Entfernung aufgenommen worden. »Wir essen dort einmal im Monat zu Abend«, sagte ich kopfschüttelnd. »Das hätte letztes Jahr oder vor zwei Wochen sein können.« »Schau genau hin, Addison. Achte auf Frisur und Kleidung. Meinst du, es hätte letztes Jahr sein können?« Ich tat, was er sagte und versuchte, mich auf die Einzelheiten zu konzentrieren. Meine Haare sahen so aus wie jetzt, es musste also ein neues Foto sein. Letztes Jahr um diese Jahreszeit hatte ich blonde Strähnchen und trug die Haare ein paar Zentimeter kürzer. »Okay«, sagte ich und atmete auf, weil ich nicht länger als ein Jahr, ohne etwas zu merken, verfolgt worden war. »Das hier ist neu. Ich würde sagen, in den letzten zwei Monaten aufgenommen.« Ich nahm die restlichen Bilder und betrachtete sie alle. Ich in der Reinigung. Ich beim Basketballspiel der Schule. Ich im Park mit meiner Mutter. Alle neu. Dessen war ich mir sicher. »Die hier auch«, sagte ich.

  »Wurden sie gemacht, bevor du Bernard Butlers Leiche gefunden hast, oder nachher?«, fragte Nick. Ich setzte an, nach dem Grund zu fragen, aber er unterbrach mich. »Denk genau nach«, sagte er.

  »Vorher«, sagte ich schließlich. »Warum ist das von Bedeutung?« Ich bekam keine Antwort auf meine Frage. Nick hatte auf Polizeimodus geschaltet und ich konnte ihn durch nichts dazu bringen, mir zu sagen, was er dachte.

  »Ich kann nicht glauben, dass jemand so etwas tut«, sagte ich.

  »Nicht einfach irgendjemand, Addison, sondern sehr wahrscheinlich der Mörder.« »Ich muss ständig an Robbie Butler denken und wie er bei der Beerdigung seines Bruders auf mich reagiert hat. Diese Blicke waren unmissverständlich. Aus irgendeinem Grund hasst er mich und er kennt sich auf jeden Fall in der Kirche gut aus.« Ich dachte auch an das erste Foto, das ich bekommen hatte. Das, wo mich mein Vorgesetzter im The Foxy Lady auf der Bühne fotografiert hatte. Hätte Robbie Butler denn seinen eigenen Bruder umbringen können? Ich sah aus dem Fenster und bemerkte, dass endlich die Sonne schien, aber ich fühlte mich trotzdem nicht besser.

  »Du hast meine Gedanken gelesen«, sagte Nick. »Robbie Butler ist für diese Ermittlungen definitiv interessant. Aber du musst mich das machen lassen. Ich möchte, dass du zu Kate gehst.« Zum ersten Mal, seit wir das Päckchen geöffnet hatten, sah ich, dass Nicks Körper vor Wut leicht zitterte. Um nichts auf der Welt würde ich mir entgehen lassen, wie Nick sich Robbie Butler vornahm.

  »Habe ich nicht vor«, sagte ich und nahm meine Tasche.

  »Ok, aber ich übernehme das Reden.«

  Dagegen sagte ich nichts. Ich war heilfroh, dass jemand Kompetenteres als ich die Sache in die Hand nahm.

  * * *

  Robbie Butler wohnte in einem Stadthaus im Süden der Altstadt von Savannah. Jedes Gebäude umfasste zwei Wohneinheiten. Rote Geranien rahmten den Weg zu Robbies Haustür ein und riesige Ulmen standen an der Straße. Nick parkte seinen Pickup am Straßenrand und ich sprang mit der gleichen Begeisterung aus dem Auto wie Marie Antoinette auf dem Weg zum Schafott.

  »Nette Gegend«, sagte ich in dem Bewusstsein, dass hier horrende Mieten gezahlt wurden.

  »Ja, der jüngste der Butlers ist Investmentbanker. In der anderen Wohneinheit wohnte sein ältester Bruder.« »Hier hat Herr Butler gewohnt? Mein Schulleiter?«, fragte ich überrascht. »Ich sollte vielleicht auch mal die Schulleiterlaufbahn in Augenschein nehmen.« Die Vorhänge im vorderen Zimmer bewegten sich und ich wusste, man hatte uns gesehen. Nick klingelte an der Haustür und klopfte zweimal. Als Robbie Butler die Tür öffnete, konnte ich meine Erinnerung von der Beerdigung kaum mit dem Anblick in Einklang bringen, den ich jetzt vor mir hatte. Er trug zerrissene Jeans und ein T-Shirt, die aussahen, als hätte er darin geschlafen. Mehrere Tage alte Flecken prangten auf seinem T-Shirt—Ketchup, Senf, Würzsauce und Traubengelee. Das musste ein grauenvolles Sandwich gewesen sein. Beim Anblick der gelben Flecken unter den Achseln verzog sich mir unwillkürlich der Mund, er stank dermaßen, dass mir die Augen tränten. Er hatte rot umränderte Augen, das Gesicht war hager und hatte seit der Beerdigung keinen Rasierapparat mehr gesehen. Wiedererkennen konnte ich einzig und allein die aggressive Feindseligkeit in seinem Blick.

  »Robbie Butler?«, fragte Nick.

  »Ja. Was wollen Sie?« Er richtete die Frage an mich und es war klar, dass er mich immer noch für die Frau hielt, die die Schuld am Tod seines Bruders trug.

  »Ich bin Inspektor Dempsey von der Polizei Savannah. Ich ermittle in Bezug auf den Tod Ihres Bruders.« »Die Ermordung, meinen Sie«, warf Robbie ein.

  »Ja. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«

  »Ich habe schon mit der Polizei gesprochen. Die Person, die Sie befragen sollten, steht neben Ihnen, aber offensichtlich hat sie sich ja auch in Ihr Bett eingeschlichen.« Ich spürte, wie ich rot wurde. Warum dachten die Leute, Nick und ich würden schon miteinander schlafen? »Wir können hier reden, oder ich kann Sie mit aufs Revier nehmen«, sagte Nick. »Das liegt ganz bei Ihnen.« Wir warteten geduldig, bis Robbie sich entschieden hatte. Schließlich trat er einen Schritt zurück. »Ok, aber machen Sie schnell. Ich habe heute noch zu tun.« Er ließ uns im Flur stehen, setzte sich in seinen Sessel und schaltete den Fe
rnseher ein. Nick ging zwischen zerdrückten Bierdosen und leeren Pizzakartons umher und schaute sich Familienfotos an und was sonst noch herumlag. Ich war noch nie in der Wohnung eines Investmentbankers gewesen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass die meisten so aussahen wie diese hier. Ich blieb zurück an der Tür, außerhalb von Robbies Blickfeld, und hoffte, er würde dadurch etwas kooperativer.

  »Können Sie mir sagen, wo sie sich gestern Vormittag zwischen zehn und elf Uhr aufgehalten haben?«, fragte Nick schließlich.

  »Ich war hier«, sagte Robbie, ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden. »Seit der Beerdigung bin ich nicht mehr aus dem Haus gegangen.« »Ach, das ist seltsam, denn irgend jemand hat Fotos von Frau Holmes an ihre Tür geklebt und Drohanrufe hat sie auch bekommen. Sie wissen nicht zufällig etwas davon, oder?« »Nee. Keine Ahnung, wovon Sie reden.«

  Er war entweder ein sehr guter Pokerspieler oder er sagte die Wahrheit. Dann bemerkte ich, wie krampfhaft er die Fernbedienung festhielt.

  »Dann ist es also nur ein Zufall, dass einer von Frau Holmes Nachbarn Sie vergangene Woche zweimal spät abends in dem Gebäude gesehen hat.« Davon hatte ich bisher nichts gewusst. Nick hatte es wohl ernst gemeint, als er sagte, er werde die Dinge in die Hand nehmen.

  Robbie drehte endlich seinen Kopf in Nicks Richtung. »Wenn sie Bilder und Anrufe bekommt, dann hat sie die wohl verdient. Ich war es nicht. Muss ich meinen Anwalt anrufen?« »Nur wenn Sie es für notwendig halten«, antwortete Nick. »Wissen Sie, Robbie, ich habe genug Verdachtsmaterial, um Sie offiziell verhören zu lassen. Wir haben die Aussagen von Nachbarn, die Sie beschreiben können, und Sie haben kein Alibi für die Mordzeit. Das alles scheint mir ziemlich verdächtig.« »Wovon reden Sie, um alles in der Welt?«, fragte Robbie. »Was für ein Mord?« Er schaltete endlich den Fernseher aus und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf Nick.

  »Ich möchte Ihnen sagen, was ich glaube, Robbie.« Nicks Stimme war so sanft und weich wie immer. Sie erinnerte mich an unsere erste Begegnung, als er mich ebenso geduldig verhört hatte. »Ich denke, Sie sind auf Frau Holmes fixiert. Ich weiß nicht warum, und es ist mir gleichgültig, aber Stalking kann im Staate Georgia als schweres Verbrechen bestraft werden. Ich denke, Sie haben sie verfolgt und fotografiert und gestern sind Sie ihr in die katholische Kirche gefolgt, in der die Trauerfeier für Ihren Bruder stattgefunden hatte, und haben dort ein paar Bilder von Frau Holmes gemacht, als sie in der Krypta ein paar sehr private Dinge tat. Hatten Sie vor, sie zu erpressen?« Nick ließ Robbie gar nicht erst zu Wort kommen, sondern ging gleich aufs Ganze. »Und wissen Sie, was ich noch glaube, Robbie? Ich glaube, Sie wurden dabei von jemandem ertappt und haben ihn kaltblütig erschossen. Wie hört sich das an? Ziemlich treffend?« Robbie fuhr herum und sah mich an; dabei stand ihm das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. »Sie hatten Sex in einer Kirche?«, fragte er.

  »Ich hatte keinen Sex!«, schrie ich. »Warum glaubt mir denn niemand? Und außerdem war ich nicht in der Kirche. Ich war in der Krypta.« Robbie bekreuzigte sich. »Ich werde nie verstehen, was Bernie in Ihnen gesehen hat. Er hat Sie geliebt und Sie haben sich vor anderen Männern zur Schau gestellt. Es hat ihn verrückt gemacht, wie die Männer immer hinter Ihnen her waren.« »Sind Sie sicher, dass Sie mich meinen?«, fragte ich. »Das wüsste ich nämlich, wenn die Männer hinter mir her wären. Normalerweise rennen die Männer in meinem Leben anderen Frauen hinterher. Immer dieselbe Story.« »Das ist gar nicht witzig. Er ist Ihretwegen tot. Sie haben ihn an diesen Ort gelockt, und jemand hat ihn umgebracht. Wahrscheinlich einer ihrer eifersüchtigen Liebhaber.« Robbie weinte nun richtig und er tat mir ein bisschen leid.

  »Tut mir leid. Ich weiß nicht, woher Sie den Eindruck gewonnen haben, Herr Butler und ich wären mehr als Bekannte, aber da war wirklich nicht mehr. Ich war ebenso überrascht, ihn im The Foxy Lady zu sehen, wie es ihn überrascht hat, mich dort zu sehen.« »Das glaube ich Ihnen nicht.« Robbie krümmte sich zu einem Häufchen Elend im Sessel und schluchzte. »Es stand alles in seinem Tagebuch. Er hat in allen Einzelheiten beschrieben, was Sie sexuell gemacht haben. Er hatte zig Fotos von Ihnen. Wie können Sie nur sagen, Sie hatten keine Beziehung? Er war in Sie verliebt.« Jetzt übernahm Nick, während ich versuchte, damit klar zu kommen, dass mein Chef mich monatelang gestalkt hatte, ohne dass ich etwas davon gemerkt hatte. Wie konnte ich nur so ahnungslos sein? »Also haben Sie das Tagebuch Ihres Bruders und die Bilder von Frau Holmes gefunden und sie ihr geschickt, weil Sie ihr die Schuld für seinen Tod gaben.« »Ja«, sagte er, kaum hörbar. »Sie sollte sehen, wie sie in den Augen eines anderen aussah. Und sie sollte sich dafür schämen, wie sie sich benimmt und wie sie sich anzieht.« »Und haben Sie, weil Sie von Frau Holmes besessen waren, kaltblütig einen Mann umgebracht?« »Nein, nein, das schwöre ich«, sagte Robbie. Er stand auf und ging aufgeregt hin und her. »Und ich habe auch nicht telefoniert. Ich habe ein Bild an ihr Autofenster geklebt und zweimal einen Umschlag voll Bilder an ihrer Wohnungstür liegen lassen. Das waren alle. Mehr habe ich nicht. Und ich bin ihr vielleicht ein paarmal gefolgt, aber nur, um beweisen zu können, dass sie für Bernies Tod verantwortlich war. Ich unterziehe mich einem Lügendetektor oder was sonst, aber ich schwöre, ich habe niemanden umgebracht.« Nick schaute mich an und ich schaute auf die jämmerliche Gestalt, die wieder auf dem Sessel saß und schluchzte. Ich wusste, Nick wartete, wie ich jetzt vorgehen wollte. Ich wollte eigentlich niemanden anzeigen, der ganz offensichtlich Schwierigkeiten hatte, über den Tod eines Angehörigen hinwegzukommen.

  »Ich werde Sie nicht anzeigen, wenn Sie mir versprechen, dass Sie mich in Ruhe lassen«, sagte ich schließlich.

  »Ich sagte bereits, dass ich Ihnen alle Bilder gegeben habe. Was mich betrifft, so will ich Sie nie wieder sehen.« »Was den Mord betrifft«, sagte Nick, »würde ich Ihnen raten, jemanden zu finden, der bestätigen kann, dass Sie gestern zu Hause waren. Das Tagebuch Ihres Bruders haben Sie wohl nicht mehr, oder?« Robbie schüttelte den Kopf. »Ich habe es auf dem Grill auf der Terrasse verbrannt. Ich konnte nicht riskieren, dass jemand anders es sieht.« »Praktisch«, sagte Nick. »Sie haben sicher nichts dagegen, wenn ich mir Ihren Grill mal anschaue.« »Ist mir egal. Lassen Sie mich nur in Ruhe«, sagte Robbie.

  »Herr Butler«, sagte Nick mit ernster Stimme und ernstem Gesicht. Er wartete, bis Robbie ihm in die Augen sah, bevor er weitersprach. »Es wäre vielleicht doch ganz gut, wenn Sie Ihren Anwalt anrufen.« Nick legte den Arm um mich und führte mich zu einer Glastür, von der aus man auf eine große Terrasse hinter dem Haus gelangte. Die Terrasse verlief an den Häusern der beiden Brüder entlang und verband die Grundstücke miteinander. Zum gemeinsamen Bereich gehörten ein großer Swimmingpool und ein riesiger Edelstahlgrill.

  Nick holte ein Paar Latexhandschuhe aus seiner Tasche, zog sie an und hob den Deckel vom Grill. Ich wich zurück, als er die Roste einzeln herauszog und Asche durch die Luft flog.

  »Ist es drin?«, fragte ich.

  »Da ist etwas drin.« Er durchsuchte die Asche und hielt dann ein winziges Stück schwarzes Leder mit Goldprägung hoch. »Bernard Ulysses Butler«, las Nick. »Mehr ist wohl von dem berühmten Tagebuch nicht übrig.« »Mein Gott, hoffentlich.« Ich sah zu wie Nick das winzige Lederstückchen und ein bisschen Asche vom Grillboden einpackte. Wir gingen durch das Seitentor hinaus, was mir nur recht war, weil ich Robbie Butler nie wieder über den Weg laufen wollte.

  »Und, was meinst du?«, fragte ich, als wir wieder in seinen Pickup einstiegen.

  »Ich glaube, er sagt die Wahrheit, aber ich werde trotzdem zwei Beamte in Zivil zur Observierung hierher schicken. Ich will nicht, dass er die Stadt verlässt.« Nick rief mit dem Handy im Revier an, um die Überwachung anzufordern.

  »Komm jetzt, du Verführerin«, sagte Nick. »Ich lad dich zum Mittagessen ein und helfe dir dann mit dem Fall, der dir Schwierigkeiten macht. An meinem freien Tag habe ich nichts Besseres zu tun.« »Super, danke.« »Aber glaube bloß nicht, das wäre jetzt ein Date.«

  * * *

  Wir aßen beim Mexikaner zu Mittag und fuhren dann nach Whiskey Bayou zurück. Ich war pappsatt von Enchiladas und Käse und wusste, es war ein Fehler gewese
n, das All-You-Can-Eat-Buffet zu nehmen. Ich würde ein paar Sit-Ups machen müssen, bevor mein Hosenknopf wieder zuging.

  »Erzähl mir von dem Fall, bei dem ich dir helfen soll«, sagte Nick.

  »Es ist ja nicht so, als käme ich damit nicht zurecht«, sagte ich steif. »Ich bin nur nicht ganz sicher, wie ich ihn in flagranti erwischen kann.« »Noch ein Ehebrecher?«, fragte Nick.

  »Versicherungsbetrug. Eddie Pogue heißt er. Ein echter Schwachkopf.« Ich erzählte ihm die restlichen Einzelheiten, während er fuhr.

  Das Schweigen, das folgte, war mir ein bisschen unbehaglich. Es war seltsam, neben einem Mann zu sitzen, der mich nackt gesehen aber noch nicht befriedigt hatte. Natürlich traf diese Beschreibung auch ziemlich auf meine gesamte Beziehung mit Greg zu; aber mein Kopf sagte mir, dass ich Nick noch nicht lange genug kannte, um gewagte Entscheidungen zu treffen. Mein Körper hingegen sagte »Tu‘s!« Ich seufzte laut und schaute aus dem Fenster, als wir in die Magnolia Street einbogen.

  »Wozu der Seufzer? Was ist denn los?«

  »Nichts.«

  »Okay. Weißt du, ich muss sagen, dass ich dir nicht glaube. Ich war schon mal verheiratet und meiner Erfahrung nach, wenn eine Frau sagt, es sei ,nichts‘ los, dann sitzt du ganz schön in der Scheiße.« »Du warst schon mal verheiratet?«, fragte ich und meine Stimme bekam bei der Neuigkeit nur einen ganz leisen schrillen Unterton.

  »Natürlich war ich schon mal verheiratet. Ich bin zweiunddreißig. Meinst du, ich bin erst vor einer Woche aus dem Ei geschlüpft, als wir uns kennenlernten? Außerdem bin ich Polizist. Wir heiraten alle irgendwann. Nur ist es scheinbar für die meisten von uns schwierig, verheiratet zu bleiben.« Überrascht stellte ich fest, dass ich ein bisschen eifersüchtig war auf die namenlose Frau, die Nicks Leben geteilt hatte. Ich wurde noch trübsinniger und seufzte wieder.