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Whiskey Lullaby Page 9


  »Blöder Kerl, blöd, blöd – Idiot.«

  Ich war nicht sicher, ob ich Nick meinte oder mich selbst. Wahrscheinlich ein bisschen von beiden. Auf dem Bürgersteig vor Kates Büro ließ ich den Regen an meinem überhitzten Körper abperlen. Solche Komplikationen brauchte ich im Moment nicht in meinem Leben. Wollte, ja. Brauchte, nein.

  * * *

  Bevor ich für Gretchen Wilder Ehehelferin spielen musste, war noch viel Zeit und ich beschloss, erst den Fall John Hyatt weiter zu verfolgen. Am besten sollte ich wohl versuchen, einen Blick auf die geheimnisvolle Frau zu erlangen, die so viel Zeit in Hyatts Villa verbrachte. Der Schultag war vorbei, wenn die große Unbekannte also Veronica war, wie ich vermutete, dann könnte sie schon da sein.

  Ich rief mit meinem Handy die Bank an. Eine Frau antwortete, aber ich erkannte ihre Stimme nicht.

  »Könnte ich bitte John Hyatt sprechen?«, fragte ich und hoffte sehr, dass sie nicht meine Stimme erkannte und einfach auflegte.

  »Tut mir leid, Herr Hyatt hat heute mehrere Besprechungen. Vor morgen kommt er nicht mehr ins Büro. Möchten Sie ihm eine Voicemail-Nachricht hinterlassen?« »Nein danke, ich rufe dann morgen wieder an«, sagte ich und legte auf.

  Ich verließ Savannah mit Lichtgeschwindigkeit und fuhr nach Whiskey Bayou, überzeugt, dass ich John Hyatt und das unbekannte Flittchen – namens Veronica Wade – gleich auf frischer Tat ertappen würde.

  Als ich in die Stadt hineinfuhr, war ich froh, dass das Wetter immer noch alle in ihren vier Wänden hielt. Ich fuhr mit zehn Meilen mehr als erlaubt die Main Street hinunter, am Eisenbahndepot, am Good Luck Café, der Whiskey-Brennerei und dem Feuerwehrhaus vorbei, bevor ich nach links in das Wohngebiet von Whiskey Bayou einbog. Ich hatte einen Plan und der war vielleicht sogar recht gut durchdacht.

  Meine Eltern hatten ihr ganzes Eheleben lang in dem selben kleinen Haus im Cottage-Stil gewohnt und als mein Vater letztes Jahr starb, besorgte sich meine Mutter zwei Schäferhundwelpen, die ihr Gesellschaft leisten sollten.

  Weil das Haus meiner Eltern so ungewöhnlich war, machten alle Leute Bemerkungen darüber. »Es sieht aus wie im Märchen von Hänsel und Gretel oder Schneewittchen«, sagten sie immer. Als Kind fand ich das komisch, denn wer wollte schon in einem Haus wohnen, in dem eine alte Frau Kinder in den Ofen schob? Aber ich war größtenteils darüber weggekommen.

  Ich stellte mich hinter den Dodge Charger von 1969, den meine Mutter mit dem Geld von der Versicherung nach dem Tod meines Vaters bei ebay gekauft hatte – er war eine genaue Nachbildung des »General Lee« aus Ein Duke kommt selten allein.

  Ich watete bis zur Garage hinter dem Haus. Mein Vater hatte alles Mögliche und Unmögliche gesammelt, deshalb wusste ich, dass ich das, was ich suchte, am ehesten in der Garage finden würde.

  Die Wände waren voller Werkzeuge, einige völlig unbenutzt, und es gab Regale voller Angelköder und Golfschläger, zwei Sportarten, die mein Vater mit ziemlicher Sicherheit nie ausgeübt hatte. In der Ecke stand ein Teleskop, das er während meiner Astronautenphase gekauft hatte, und ein Samuraischwert vom Flohmarkt. Was ich suchte, fand ich in einer Kiste mit der Aufschrift Jagdgeräte. Darauf musste man erst einmal kommen.

  Ich wühlte mich durch Schichten von grellorangen Westen und etwa hundert Fläschchen mit Bocksurin, bevor ich das Fernglas fand. Die Häuser an der Straße, in der John Hyatt wohnte, grenzten alle nach hinten an den Magnolia Park. Wenn ich Glück hatte, könnte ich von weitem durch das Fenster einen Blick auf den Schuldigen erhaschen.

  * * *

  Als ich in den Magnolia Park einbog und mich zwischen Schlammlöchern und Baumriesen hindurchschlängelte, ging mir auf, dass mein Plan vielleicht doch nicht ganz so gut durchdacht war.

  An einem hellen sonnigen Tag wäre das Innere von John Hyatts Haus ein offenes Buch – die gesamte Rückwand des Hauses war aus Glas, mit Blick auf den Swimmingpool. Aber bei sintflutartigem Regen mit Null Prozent Sicht war das Ganze sozusagen ein Schlag ins Wasser.

  »Los, Addison. Um Privatdetektiv zu sein, muss man denken wie ein Privatdetektiv. Denk, denk, denk«, forderte ich mich auf. »Was würde Nick jetzt machen?« Nick würde wahrscheinlich vorschlagen, dass wir den Rücksitz gebührend nutzen oder dass ich mir eine andere Arbeit suchen soll. Der Nick in meinem Unterbewusstsein war absolut keine Hilfe.

  Ich startete den Motor und schlängelte mich aus dem Park hinaus. Vor John Hyatts Haus hielt ich an und stieg aus.

  Addison, Addison, Addison. Was um Himmels Willen hast du vor? Ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich an der Haustür sagen sollte oder was ich tun sollte, wenn ich tatsächlich Veronica gegenüber stünde, aber abwarten lag mir einfach nicht. Bei mir war alles Action. In meiner Phantasie war ich Lara Croft, eingesperrt in einem Provinznest.

  Ich stand auf der stattlichen Veranda und klingelte an der Haustür. Aus den Augenwinkeln sah ich Victor Mooney, der mich vom Fenster aus mit erhobenem Daumen anspornte. Ich hatte Herzklopfen und meine Atmung stand kurz vor der Hyperventilation.

  »Lara Croft hyperventiliert nicht«, sagte ich laut, um mir Mut zu machen.

  Als sich die Haustür mit einem Knarren öffnete, wäre ich vor Anspannung fast in Ohnmacht gefallen. Ich senkte den Kopf, um die kreisenden Punkte vor meinen Augen unter Kontrolle zu bringen und auch, um Veronica einen anderen Angriffspunkt an meinem Kopf zu bieten, falls sie zuschlagen sollte. Meine Stirn tat nämlich immer noch weh.

  Als ich die Augen aufmachte, sah ich ein Paar sehr hübsche Manolo Blahnik-Schuhe mit türkisfarbenen Federn, die ich bei meinem letzten Besuch bei Neiman Marcus in Atlanta aus der Ferne bewundert hatte. Mein Blick wanderte nach oben über zwei wohlgeformte Beine zu einem schwarzen Bleistiftrock, einem türkisfarbenen rückenfreien Top und langen Ohrhängern.

  »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine raue Stimme. Endlich hatte ich den Mut, dieser phantastisch gekleideten Frau ins Gesicht zu sehen. Ihr schulterlanges gewelltes Haar sah aus wie pures Gold.

  Wie konnte ich sie nur für Veronica gehalten haben? Veronica hatte einen tollen Körper, aber sie kleidete sich wie ein 50-Dollar-Flittchen, und ihre Haare waren nur deshalb blond, weil sie pünktlich alle sechs Wochen zum Friseur ging. Da stand keine Veronica vor mir. Diese Frau hatte Stil.

  »Super Schuhe«, sagte ich und blickte in ein Paar neugierige haselnussbraune Augen. »Entschuldigung, kennen wir uns?« Eine Frau wie diese sollte man nicht so leicht aus dem Gedächtnis verlieren, aber mein Kopf war leer. Vielleicht war sie auf derselben Schule gewesen wie ich und hatte sich aus einem hässlichen Entlein in einen schönen Schwan verwandelt.

  »Nein. Nicht, dass ich wüsste«, antwortete sie freundlich.

  »Ist John Hyatt zu Hause?«

  »Nein, er ist nicht da. Kann ich Ihnen helfen?«

  Ich streckte meine Hand aus und fühlte mich wie ein Idiot. Bisher hatte die Geschichte von der Prinzessin und dem Dorfmädchen keine große Bedeutung für mich gehabt. »Ich bin Addison Holmes.« »Ach, Fräulein Holmes. Ich habe viel von Ihnen gehört.« Dabei beließ sie es und ich war ziemlich sicher, dass sie nichts Gutes über mich gehört hatte, denn sie stellte sich so in die Türöffnung, als hätte ich vor, ins Haus zu stürmen und das gesamte Tafelsilber zu klauen.

  Ich wusste, dass es in dieser Situation nur eine Möglichkeit gab, also schluckte ich meinen Stolz hinunter und tat etwas, das mir immer widerstrebt hatte. »Sagen Sie ihm nur, ich sei vorbei gekommen, um mich zu entschuldigen.« Ich verschluckte mich fast an der Lüge, natürlich wollte ich mich nicht ernsthaft bei diesem Widerling entschuldigen, aber ohne Schweiß, kein Preis, oder? »Ich werde es ausrichten«, sagte sie und begann, mir die Tür vor der Nase zu zuziehen.

  »Entschuldigung, ich habe ihren Namen nicht verstanden.«

  »Loretta Swanson. Ich bin Herrn Hyatts Immobilienverwalterin. Werden Sie nicht nass«, sagte sie und schloss die Tür.

  Sollte das ein Witz sein? Wenn es so weiter regnete, würde ich bald ein Kanu brauchen.

  Ich stieg wieder ins Auto und dachte kurz nach. Loretta Swanson, eine Immobilienverwalterin, die Fanny Kimble im Gespräch mit Kate nicht einmal erwähnt hatte. Arbeitete Lorett
a extra nicht an den Abenden, an denen Fanny hier übernachtete, oder, besser gefragt, wie war es überhaupt möglich, dass die beiden Frauen sich während der dreizehnmonatigen Verlobungszeit von John und Fanny nie über den Weg gelaufen waren? Ich musste mit Fanny Kimble reden.

  Etwas stimmte mit Loretta Swanson nicht. Eine normale Immobilienverwalterin könnte sich wohl kaum Schuhe für sechshundert Dollar leisten. Loretta war jemand, den John Hyatt wie eine Königin behandelte. Und mein Bauch sagte mir, dass Fanny guten Grund hatte, eifersüchtig zu sein. Ich musste in den sauren Apfel beißen und John Hyatt nochmals aufsuchen. Vielleicht musste ich mich sogar wirklich entschuldigen, um an die Informationen zu kommen, die ich brauchte.

  * * *

  Gretchen Wilder war eine sexbesessene Bibliothekarin, aber die Thunderbolt Stadtbibliothek machte erst um sieben Uhr zu. Ich konnte ich mich also noch bei meiner Mutter mit Abendessen versorgen, bevor ich mich als Voyeurin versuchte.

  Meine Mutter war keine Küchenfee, aber ihr Vorratsschrank war immer gut gefüllt und ich hätte wetten können, dass in ihrer Küche nirgends ein schleimiger Salatkopf herum lag.

  Ich parkte wieder hinter dem General Lee und watete zur Hintertür. Der Regen ließ nach, eine gute Sache, jetzt, wo ich bis auf die Haut nass war. Ich putzte mir Füße auf der Matte ab, bevor ich die Tür zur Küche öffnete.

  Der Duft nach Zitronen-Möbelpolitur und abgestandenem Kaffee stach mir in die Nase. Ich war unterkühlt und zitterte, die Haare hingen mir ins Gesicht und meine wasserfeste Wimperntusche war garantiert unter den Augen verschmiert.

  »Addison?«, fragte meine Mutter. »Bist du das?«

  »Kommen hier jeden Tag viele fremde, durchnässte Frauen durch die Hintertür rein?«, fragte ich sarkastisch.

  Meine Mutter schnalzte mit der Zunge, wie das Mütter so tun und legte dann Lappen auf den Boden, damit ich nicht alles nass machte. Mom war eine hübsche Frau, gerade einmal fünfzig, und sah genauso aus, wie ich die nächsten zwanzig Jahre aussehen würde – lange dunkle Haare ohne Grau, dank Clairol-Tönung, dunkelbraune Augen und olivfarbener Teint. Ihre Hüften waren etwas breiter und ihr Busen viel üppiger, aber wenn ich mich an eine strenge Diät mit Hostess-Fertigtörtchen hielt, konnte ich sicher in den nächsten zehn Jahren meine BH-Größe auf Cup C steigern.

  »Ich hol dir einen sauberen Jogginganzug und Unterwäsche«, sagte meine Mutter.

  »Nur den Jogginganzug. Ich zieh doch nicht deine Unterwäsche an. Das käme mir komisch vor.« »Du kannst doch nicht ohne Unterwäsche rumlaufen«, sagte sie entrüstet. »Stell dir vor, du würdest auf dem Heimweg von einer Polizeistreife angehalten!« »Die würden mir vielleicht den Knollen erlassen«, sagte ich mit klappernden Zähnen.

  Wenn meine Mutter sich aufregte, dass ich keine Unterwäsche trug, wie würde sie erst reagieren, wenn sie jemals vom The Foxy Lady erfuhr.

  »Was hab ich nur falsch gemacht?«, fragte sie, als sie trockene Sachen holen ging. Auf die Frage hatte ich keine Antwort, aber ich war ziemlich sicher, dass es nicht ihre Schuld war. Ich glaube, ich bin von Geburt an anders gepolt. Vielleicht hat sie in der Schwangerschaft Hasch geraucht oder so. Das würde auf jeden Fall erklären, was mit meiner Schwester nicht stimmte.

  »Hast du jemals in deinem Leben irgendetwas Fragwürdiges gemacht? Etwas, das du bereut hast?«, fragte ich meine Mutter, als sie mit einem dunkelgrauen Jogginganzug, Socken und alten Laufschuhen wieder rein kam.

  »Natürlich. Aber unsere Entscheidungen bestimmen unser Schicksal. Ich würde nichts ändern wollen, weil ich dann nicht die wäre, die ich heute bin.« »Hm. Ganz schön weise.« Wenn ich nicht im The Foxy Lady gestrippt hätte, wäre ich Nick nie begegnet. Nicht, dass wir zusammen wären. Es fiel mir schwer, von einer Begegnung zur nächsten zu verstehen, ob er mich erwürgen oder küssen wollte. Vielleicht hatte er eine Freundin oder ein Dutzend Kinder. Nick Dempsey war ein Meister im Senden verwirrender Signale, und ich benahm mich wie ein liebeshungriger Teenager auf der Suche nach Aufmerksamkeit. Schwaches Bild. Ich sollte Nick Dempsey hinter mir lassen.

  »Ich höre, du hast morgen Abend eine Verabredung«, sagte meine Mutter.

  Das Date, das Kate arrangiert hatte, hatte ich ganz vergessen. »Stimmt«, sagte ich, unsicher, worauf sie hinaus wollte.

  »Ich bin froh, dass du Greg endlich überwunden hast. Er wird seine Entscheidungen eines Tages bereuen. Du wärst eine wunderbare Ehefrau gewesen.« Ich bin sicher, meine Mutter war da ganz unparteiisch. Ich persönlich glaube, ich wäre eine schreckliche Ehefrau. Ich hasse Wäsche waschen und habe nie Lebensmittel im Kühlschrank, allerdings kann ich kochen, wenn Fleisch und Gemüse von irgendwoher auftauchen. Ich schlafe gerne mitten auf dem Bett und stelle nicht gern Haushaltsrechnungen auf. Nicht sehr ehefraulich. »Nur eine freundschaftliche Verabredung, Mom. Du brauchst noch nicht die Kirche zu buchen.« »Du kannst nie wissen, wann dir der Richtige begegnet. Achte nur darauf, dass du Unterwäsche trägst. Dein Date soll doch nicht glauben, du wärst leicht zu haben.« Ich verdrehte die Augen, nahm die warmen Kleider und ging ins Bad. Dort stellte ich mich luxuriöse zehn Minuten lang unter die kochend heiße Dusche, trocknete mich ab und zog saubere Sachen an, ohne die Unterwäsche, die meine Mutter trotz meines Protests dazu gelegt hatte.

  Als ich wieder in die Küche kam, war mir warm und meine Stimmung war etwas besser. Meine Mutter stellte einen heißen Teller Gemüsesuppe vor mich und ich sog den Duft ein. Meine Mutter konnte aus der Dose die besten Suppen zaubern. Sie setzte sich mir mit ihrem Teller gegenüber.

  »Weißt du, über deine Frage, ob ich etwas bereue, habe ich nachgedacht. Wusstest du, dass ich als junge Erwachsene viel Zeit damit verbrachte, mit dem Bus quer durchs Land zu Demonstrationen zu fahren, um gegen alles Mögliche zu protestieren?« Sie lächelte wehmütig. »Ich war immer bereit, die Schwachen zu verteidigen und für eine gute Sache zu kämpfen. Das war die gute alte Zeit. Ich war ein Freigeist, weißt du, bevor ich deinen Vater kennen lernte und beschloss, sesshaft zu werden und als Buchhalterin zu arbeiten.« »Also hast du deinen freien Geist aufgegeben, um Daddy zu heiraten? Das klingt nicht gerade fair.« »Oh, wir mussten uns beide umstellen. Seine Mutter hasste mich. Sie hasst mich immer noch, die alte Hexe. Du hättest uns beide sehen sollen, mich in meinen goldenen Plateausandalen und deinen Vater bis zum Kinn zugeknöpft in dieser sexy Uniform. Ich bereue nichts, aber zwanzig Jahre lang Strumpfhosen tragen war das schwerste, was ich je zu tun hatte. Ich wäre völlig damit zufrieden gewesen, Hausfrau zu sein und im Garten zu arbeiten, aber Polizisten verdienten damals nicht viel und daher musste ich arbeiten gehen. Dein Vater, Gott hab ihn selig, war ein republikanischer Korinthenkacker und ich war nie mit jemandem zusammengewesen, der im Schlafzimmer so zugeknöpft war wie er, aber wir waren ein Team, dein Vater und ich. Wir hatten gute Jahre zusammen.« Meine Mutter spricht normalerweise nicht gern über früher und ich wusste, es machte sie traurig, über meinen Vater zu sprechen, aber es war so ein richtig schönes Mutter-Tochter-Gespräch. Es fiel mir nur ein bisschen schwer, beim Gedanken an meine Eltern in Verbindung mit dem Thema Empfängnis und Schlafzimmer den Würgereflex zu unterdrücken. »Ich fürchte, du und deine Schwester habt mehr von mir, als dein Vater gehofft hat«, fuhr sie fort. »Ich kann schon froh sein, dass du einen festen Arbeitsplatz hast und noch nie im Gefängnis warst. Im Gegensatz zu Phoebe. Aber du scheinst dein Temperament nicht ganz im Griff zu haben. Ich frage mich, von wem du das hast. Mich haben gestern jede Menge Leute angerufen, um mir zu erzählen, was du auf der Bank für eine Szene gemacht hast. Es war schrecklich peinlich.« »Aber John Hyatt hätte sein Wort nicht brechen dürfen«, brachte ich zu meiner Verteidigung vor.

  »Da hast du recht, aber eine echte Südstaaten-Lady macht keine Szene mitten in der Stadt, die sie zum Stadtgespräch werden lässt. Eine echte Lady des Südens übertrifft im Manipulieren selbst General Lee, wenn es um Rache geht. Uns wird schon was einfallen. Versuch einfach, in Zukunft etwas umsichtiger zu sein.« »Verstanden. Rache ist gut. Klatsch ist schlecht. Wenn du mir das alles bloß während meiner Lehrjahre gesagt hättest, dann würde ich nicht ständig Mist bauen.«

  * * *


  Als ich im Dunkeln mit dem Fernglas im Gesicht versuchte, Frau Wilder in flagranti zu ertappen, kam mir die Situation bekannt vor. Im Grunde vertat ich meine Zeit. Ich wusste, was zu tun war, um den Auftrag zu erledigen, nur hatte ich keine besondere Lust dazu. Ich zog den von meiner Mutter geborgten Anorak über den Kopf und verstaute die Kamera in der Vordertasche mit Reißverschluss, damit sie nicht nass würde. Ich musste ganz nah dran, um zu liefern, was der Kunde wollte. Der Regen hatte nicht nachgelassen, wie ich gehofft hatte, sondern war immer noch stark. Die gesamte Gegend war überflutet. Ich hätte das als Ausrede nehmen können, um mich zu Hause unter der Decke zu verkriechen, aber auch Matratzen-Mattie sagt schließlich, man könne allein im Bett kein Geld verdienen, also hatte ich keine andere Wahl, als mich nass und schmutzig zu machen. Zwei der Dinge, die ich am wenigsten leiden kann.

  Ich parkte an der Straße, gegenüber von einem kleinen Bungalow in der Peters Street in Driftwood. Driftwood lag zwanzig Minuten von der Thunderbolt-Stadtbibliothek entfernt, in der Frau Wilder arbeitete, aber genau dahin waren sie und ihr Toyboy gefahren, nachdem sie sich auf dem Parkplatz der Bibliothek getroffen hatten. Der Toyboy war wirklich ein Junge, Frau Wilder kannte sich da aus. Das musste ich ihr lassen. Der Junge war höchstens zwanzig. Sie waren etwa seit einer halben Stunde im Bungalow, das war weit länger, als ich das Herumsitzen im Auto aushielt. »Sie hatten ja sicher genug Zeit, um die Sache anlaufen zu lassen.« Ich zog die Kapuze enger und drückte die Autotür auf. Der Wind war stärker geworden und ich brauchte Kraft, um sie aufzukriegen. Ich hielt meinen Kopf gesenkt und stapfte über die Straße, wobei ich durch die Windstöße zweimal fast außer Gleichgewicht gekommen und auf die Nase gefallen wäre.

  Als ich es auf die Seite des Hauses geschafft hatte, seufzte ich vor Erleichterung. Die Backsteinmauer schützte größtenteils vor Wind und Regen und ich kam wieder zu Atem. Im ganzen Haus brannte Licht, und ich schaute nochmal in die Einfahrt, um sicherzugehen, dass es das richtige Haus war. Da stand Frau Wilders schwarzer Jeep Cherokee neben einem roten Pickup-Truck. Es war das richtige Haus.