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Whiskey Lullaby Page 7
Whiskey Lullaby Read online
Page 7
Das Auftauchen meiner Zielperson riss mich aus meiner Träumerei.
»Bingo.«
Ich bekam Dr. Crumb vor die Nikon und machte rasch ein paar Bilder, um sicherzugehen, dass das Ding funktionierte. Er stieg in sein neues Lexus-Cabrio und prüfte sein Erscheinungsbild im Rückspiegel.
Ich startete den Z und blieb etwa einen Häuserblock hinter ihm, dabei achtete ich darauf, das immer zwei Autos zwischen uns waren. Ich folgte ihm die Montgomery Street hinunter und setzte den Blinker, als er auf der West Bay nach rechts abbog. Mein Adrenalin schoss nach oben und ich hatte Herzklopfen, als ich einigen Fußgängern auswich, wobei ich Dr. Crumb nicht aus den Augen ließ.
Ich rief Kate mit dem Handy an, als ich seinem Lexus auf den Parkplatz des Hyatt Regency hinterherfuhr.
»Hast du den Kerl gesehen?«, sagte ich zur Begrüßung. »So ein Gesicht könnte noch nicht mal eine Mutter lieben. Wie kriegt der Typ bloß Frauen ab?«
»Es gibt sie von allen Sorten«, sagte Kate. »Außerdem sagte mir seine Frau, er habe Eigenschaften, die man nicht auf den ersten Blick wahrnimmt, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Hah«, sagte ich und legte auf.
Ich machte noch ein paar Aufnahmen von Dr. Crumb, während er ins Hotel ging, und setzte mich wieder in Wartestellung. Allein ruhig dazusitzen, war tatsächlich viel schwieriger, als mit Kate still im Auto zu sitzen, also hatte ich nach etwa einer halben Stunden das ganze Studentenfutter gegessen, zwei Sudokus ausgefüllt und dreißig Klassenarbeiten korrigiert.
Die Sommersonne stand immer noch hoch und ich fing an, mich zu fragen, wie Dr. Crumb bei Tageslicht Sex haben konnte. Greg und ich hatten es nie bei Tag gemacht. Wenn wir es überhaupt taten, dann kurz vor der Tonight Show. Greg konnte das exakt timen. Er wurde genau um 22.29 Uhr fertig, drehte sich um und schaltete den Fernseher ein. Trotzdem, auch wenn der Sex schrecklich war, gab es Zeiten, in denen es mir fehlte, dass kein Mann bei mir übernachtete. Greg beklagte sich nie, dass er mitten in der Nacht aufstehen und ein Loch in der Zimmerdecke stopfen musste, wenn bei mir übernachtete.
»Okay, lassen wir das Thema.« Über Greg hatte ich genug nachgedacht.
Ich schlüpfte aus meinem Auto, um mir die Beine ein bisschen zu strecken und die Langeweile zu bekämpfen. Ich joggte auf der Stelle, machte ein paar Stretching-Übungen und sah wieder auf die Uhr. 18.42 Uhr. Dr. Crumb hatte also anscheinend Standvermögen.
Ich war bei der dritten Serie Streckübungen, als ich Dr. Crumb aus dem Hotel kommen sah. Und er war nicht allein.
»Ach du Scheiße.«
Ich riss die Autotür auf, um den Fotoapparat zu holen und irgendwie kam es zu einem Kontakt zwischen meinem Kopf und der Tür.
»Aua, Scheiße, warum immer ich?« Ich rieb heftig über die Stelle und schnappte mir die Kamera mit der anderen Hand. Hinter meinem Wagen kauernd rieb ich mir die immer noch tränenden Augen, bevor ich durch das Objektiv schauen konnte. Ich hatte mir an derselben Stelle den Kopf gestoßen wie gestern.
»Jetzt hab ich dich.«
Ich schoss ein paar Fotos und war besonders stolz auf das mit der heißen Umarmung. Frau Crumb würde sehr überrascht sein. Dr. Crumb hatte nämlich keine Freundin, Dr. Crumb hatte einen Freund.
Eigentlich kann ich verstehen, dass man ein bisschen Abwechslung braucht, wenn man den ganzen Tag bloß Vaginas untersucht.
* * *
Mir war nicht ganz wohl dabei, dass ich Dr. Crumb in flagranti erwischt hatte. Ich konnte dreizehn Jahre Ehe dadurch ruinieren, dass ich seiner Frau ein paar Fotos zeigte. Anderseits betrog er seine Frau, und ich brauchte wirklich das Geld. Und eigentlich würde ja nicht ich die Ehe ruinieren. Frau Crumb bekäme die Fotos schließlich von Kate gezeigt.
Somit erteilte ich mir Absolution.
Diese Erkenntnis musste mit einem Abstecher bei Dairy Queen besiegelt werden. Es war kurz nach sieben und ich hatte nicht zu Abend gegessen. Ich stellte den Z ab und ging hinein, in der Hoffnung, dass sie mir einen Eisbeutel für meine pulsierende Stirn geben würden, wenn ich genug zu essen bestellte.
»Jesses! Was haben Sie denn mit Ihrem Kopf gemacht?«
Von wegen, es würde niemand merken.
»Ich hatte einen kleinen Unfall. Ein Oreo Blizzard und einen Eisbeutel bitte.«
Ich nahm den Eisbecher und presste den Eisbeutel an meine Stirn, als ich zum Auto zurück ging.
»Ahhh—”
Ich drückte auf die Fernbedienung und stieß einen Schrei aus, als eine Hand meine Schulter ergriff.
»Warum in aller Welt schreien Sie so?«
Oje, gerade das konnte ich im Moment überhaupt nicht gebrauchen. Ich schlug Gott einen kleinen Deal vor: ich würde nie mehr den Gottesdienst schwänzen, wenn bloß dieser Mann verschwände.
»Hallo – Addison?« Er schnippte ein paarmal mit den Fingern vor meinen Augen. »Was machen Sie denn da?«
»Ich habe zu Gott gebetet, dass er Sie wegschickt.«
Nick lachte und sein Lachen ließ mein Innenleben zerfließen. Es war zutiefst männlich und jagte mir einen Schauder die ganze Wirbelsäule hinunter. Das kam wohl von meiner Kopfverletzung. Es gab keine andere Ausrede.
»Und was meinen Sie, warum ich schreie? Man geht nicht einfach auf einem Parkplatz zu einer Frau hin und packt sie. Ich dachte, es sei ein Raubüberfall.«
»Ich habe Sie beim Namen gerufen, aber Sie haben mit ihrem Eisbecher so lustvoll gestöhnt, dass Sie mich nicht gehört haben.«
Hitze stieg mir ins Gesicht. Er hatte recht. Ich hatte lustvoll gestöhnt. Ich liebte Eiscreme. Sehr sogar.
»Ich gehe nach Hause. Ich habe Kopfweh und kann heute Abend nicht schnell genug denken für ein Wortgefecht mit Ihnen. Was machen Sie überhaupt hier?«
»Ich war gegenüber beim Tanken; der feuerrote Blitz und die quietschenden Reifen konnten mir nicht entgehen, als Sie auf den Parkplatz gerast kamen. Das war wohl ein Eiscreme-Notstand.«
Ich hatte mir wohl den Kopf fester gestoßen, als ich dachte, denn danach wurde mir schwarz vor Augen und als ich aufwachte, war ich an einem Ort, wo ich nie vorher gewesen war, und es roch herrlich.
»Sie riechen so gut«, sagte ich und nahm einen tiefen Zug von Nicks Hals. Vielleicht hatte ich aus Versehen auch an ihm geleckt, aber ich war mir nicht ganz sicher.
»Nun, ich versuche, jeden Tag zu duschen«, sagte er und legte meinen Kopf nach hinten, um mir in die Augen sehen zu können. »Sie haben da eine ganz schön schlimme Beule. Wollen Sie mir sagen, was passiert ist?«
Sein Gesicht war nah genug, dass meine Lippen seinen Atem spürten und ich seufzte, als ich in meinem Bauch die vertraute Anziehungskraft spürte. Man sollte meinen, mein Körper und mein Gehirn wären sich einig, dass Nick genau der Falsche für mich war, aber mein Körper blieb hartnäckig.
»Ich bin ans Lenkrad gestoßen, als ich Ihnen gestern den Weg abgeschnitten habe.«
»Das würde erklären, warum Sie in Kates Büro so verrückt aussahen. Vielleicht hatte sich was gelockert.«
»Und heute Abend bin ich in die Autotür gerannt, als ich an die Kamera wollte, um Fotos zu machen. Ich habe mich wohl fester gestoßen, als ich dachte.«
Ich sah mich um und merkte, dass ich auf dem Dairy Queen-Parkplatz ausgebreitet lag. Eine kleine Menschenmenge hatte sich um mich geschart und starrte mich an, während andere vorbei gingen, als sähen sie täglich Frauen auf Parkplätzen herumliegen. Nicks Arme um mich herum fühlten sich besser an, als ich zugeben wollte, deswegen zögerte ich, ihm zu sagen, ich könne jetzt aufstehen, aber dann durchfuhr es mich wie ein Blitz. Ich sprang auf und stöhnte, als der Schmerz in meinem Kopf stärker wurde. »Wo ist mein Eisbecher? Ist er heil geblieben?«
Nick sah mich ungläubig an, aber er bemerkte offensichtlich die Entschlossenheit in meinem Gesicht und hielt Ausschau nach meinem Eisbecher.
»Tut mir leid. Das Eis ist hin. Wenn ich gewusst hätte, wie scharf Sie darauf waren, hätte ich Sie fallen lassen und das Eis gegriffen.«
»Ach, Mist.«
»Sieht so aus. Sorry.«
»Warum sind Sie so nett zu mir? Ich dachte, Sie wären der harte, herzlose Typ.«
»Si
e sollten meine Fürsorge nicht missverstehen. Ich sah Kates Kamera auf dem Sitz und wusste, sie wäre sauer, wenn die gestohlen würde, während Sie bewusstlos am Boden liegen.«
»Oje, danke.« Ich stand zitternd auf, setzte mich auf den Fahrersitz und fragte mich, wie oft man sich vor ein und dem selben Mann blamieren konnte. Die Antwort war nicht gerade beruhigend.
»Ich fahre Ihnen bis zu Ihrer Wohnung hinter her. Sie sehen immer noch ein bisschen zittrig aus.«
Normalerweise hätte ich »Danke, kein Bedarf!« gesagt, aber ich war immer noch etwas wacklig auf den Beinen.
»Das wäre nett.«
* * *
Bis zu meiner Wohnung kamen wir ohne größere Zwischenfälle und ich beschloss, mein Auto trotz des Steinschlagrisikos neben der Treppe zu parken. Ich wollte nur noch die Treppe rauf und ins Bett fallen.
Zu meiner Überraschung hielt Nick mir die Autotür auf, half beim Zusammensuchen meiner Siebensachen und schob mich die Treppe hinauf.
»Jetzt geht aber Ihr Image als harter Kerl flöten.«
»Ich passe nur auf, dass es keine weiteren Leichen gibt, während ich Dienst habe.«
»Sehr selbstlos von Ihnen.«
Ich öffnete die Haustür und Nick hielt sie auf, damit ich hineinstolpern konnte. Ich machte eine Bauchlandung auf der Couch und wartete nur darauf, dass sich nicht mehr alles um mich drehen würde. Als ich Nick in der Küche rumoren hörte, drehte ich mich um, um zu schauen, was er machte. Das Licht blendete mich, also schloss ich die Augen und hoffte, er würde bald gehen.
Von irgendwo her legte sich ein Eisbeutel auf meine Stirn.
»Ah – danke.«
»Ich frage mich, was mich dazu bringt, mich um Sie zu kümmern«, sagte Nick. »Anscheinend sind Sie es gewöhnt, dass Ihnen alles Mögliche passiert.«
»Ja. Irgendwann erzähle ich Ihnen mal von meinem zweiten Jahr am College. Kein Vergleich zu dem hier.«
»Macht es Ihnen sehr zu schaffen?«, fragte Nick.
Ich sagte nichts, weil mir nicht ganz klar war, welches traumatische Ereignis er meinte. Es waren ja schon eine ganze Reihe.
»Dass Sie Ihren Chef tot auf dem Parkplatz aufgefunden haben«, ergänzte er.
»Den Umständen entsprechend. Die Beerdigung ist morgen.«
»Ja, ich komme mit ein paar anderen Ermittlern in Zivil.« Er drückte meinen Nacken mit Daumen und Zeigefinger zusammen, ich hätte schnurren können. Aus irgendeinem Grund war ich etwas angespannt.
»Haben Sie etwas über den Mord an Herrn Butler herausgefunden?«
»Wir haben uns das Parkplatzvideo angeschaut, aber der Ort, an dem er erstochen wurde, lag knapp außerhalb des Aufnahmebereichs. Wir sind dabei, alle innerhalb der Bar auf Video aufgenommenen Personen und die Kennzeichen der geparkten Fahrzeuge zu identifizieren.«
»Erstochen?« Irgendwie war alles weiter weg gewesen, als ich Herrn Butlers Todesursache noch nicht kannte. Ich hickste in ein Sofakissen und presste die Augen zu. »Was um alles in der Welt hat er da gemacht?«, fragte ich, ohne eine Antwort zu erwarten. »Was um alles in der Welt hatte ich da zu suchen? Wenn er mich nicht auf der Bühne gesehen hätte, wäre er nie so früh gegangen.«
»Das ist nicht Ihre Schuld, Addison. Sie waren nur beide zur falschen Zeit am falschen Ort. Das kann jedem passieren.«
Er erwartete gewiss nicht von mir zu glauben, dass so etwas jedem passieren konnte. Ich war ein Missgeschick der Natur, wahrscheinlich war ich bei meiner Geburt von Rumpelstilzchen verflucht worden oder irgend so ein Scheiß. Wenn Nick Dempsey nur einen Funken Selbsterhaltungstrieb hatte, würde er das Weite suchen und nie wieder mit mir reden.
»Soll ich Ihnen noch irgendwas holen, bevor ich gehe?«
»Im Küchenschrank über der Kaffeekanne liegt Aspirin, und im Eisfach steht ein Becher Haselnusseis.«
»Sie scheinen von Eiscreme besessen zu sein. Vielleicht brauchen Sie einen Mann, um diese Anfälle unter Kontrolle zu bringen.«
»Ich hatte einen. Er hat mich wegen der Hauswirtschaftslehrerin sitzenlassen. Kein Bedarf, vielen Dank.«
Ich hörte ihn im Eisfach herumsuchen und setzte mich ein bisschen auf. Nick war gar kein so schlechter Typ.
»Dr. Crumb scheint schuldig zu sein«, sagte er, als er am Tisch mit meinen Beschattungsutensilien vorbeikam. »Hübsche Bilder.«
»Danke. Das wird wohl eine ziemliche Überraschung für Frau Crumb, aber besser Gewissheit haben, als immer nur zu mutmaßen.«
Ich nahm das Aspirin und spülte es mit einem Löffel Nusseis runter.
»Sie sprechen wohl aus Erfahrung.«
»Nee. Für mich war es ein Schlag aus heiterem Himmel.«
»Dann war er offensichtlich nicht der Richtige für Sie. Ich denke, ich würde es merken, wenn sich jemand, der mir etwas bedeutet, von mir entfernt. Warum wollten Sie so einen Typen überhaupt heiraten?«
Ich hielt die Augen geschlossen und dachte, einfach zu antworten, wäre wohl die beste Möglichkeit, ihn aus meiner Wohnung hinaus zu bekommen. »Er war ja nicht von Anfang an ein Lügner und Fremdgeher«, sagte ich. »Er war charmant und intelligent, und ich war fast dreißig.«
»Aha«, sagte er lachend. »Torschlusspanik.«
»Seien Sie still. In der Stadt ist es kein Drama, wenn man mit dreißig noch Single ist, aber in Whiskey Bayou hat man sich nach Erwerb des Hochschulabschlusses zu verheiraten und fortzupflanzen. Sie haben keine Ahnung, wie das ist, wenn die Leute Sie auf der Straße anschauen, als seien Ihre Eierstöcke nur noch Trockenpflaumen.«
»Da haben Sie Recht. Keine Ahnung.«
»Greg hatte alles, was ich von einem Mann erwartete. Er hatte einen angesehenen Beruf und wäre ein guter Vater geworden.«
»Und er ist fremdgegangen.«
»Ja«, sagte ich deprimiert. »Das auch.«
»Leidenschaft haben Sie nicht erwähnt. Hatte es nicht gefunkt? Man kann doch nicht fünfzig Jahre lang Ausstrahlung und Intelligenz bewundern.«
»Der Funke hält nicht lange«, sagte ich, ein bisschen gereizt, weil ich wusste, dass er zumindest teilweise recht hatte. »Man sollte die wichtigen Entscheidungen im Leben nicht seinen Hormonen überlassen.« Ich öffnete die Augen und sah ihn endlich an. Sein übermütiges Grinsen war nicht gerade beruhigend.
»Das nächste Mal sollten Sie sich vielleicht jemanden suchen, der Ihnen bessere Orgasmen verschafft als ein Becher Häagen-Dazs.«
»Raus«, sagte ich und wünschte, ich hätte die Kraft, etwas in seine Richtung zu werfen.
»Hey, sehen Sie es doch positiv. In diesem Moment schaut Ihnen ein ganzer Raum voller Polizisten dabei zu, wie Sie sich auf einem Video ausziehen. Danach finden Sie doch in Nullkommanichts einen Mann.«
»Raus«, sagte ich und zeigte auf die Tür. Ich ignorierte sein Lachen, als er meine Wohnung verließ. Ich versuchte, mich mit etwas Eiscreme zu trösten, aber er hatte ja recht. Ich hatte mit gefrorenen Süßspeisen bessere Orgasmen als mit einem Mann.
Was mich anging, so waren echte Orgasmen sowieso nur Phantasie. Und jeder Mann, der mir auf dem Video beim Strippen zuschaute, bekam sicher für den Rest seines Lebens Erektionsstörungen.
Die freundlichen Gedanken gegenüber Nick Dempsey nahm ich zurück. Er war halt ein Blödmann, und von der Sorte hatte ich in letzter Zeit mehr als genug gehabt. Greg und Nick waren verschieden verpackt, aber mir schwante, dass der Inhalt bei beiden ziemlich derselbe war.
Kapitel 6
Mittwoch
* * *
Ich wurde von plärrender Musik geweckt und mein Kopf dröhnte. Kraftlos langte ich nach meinem Wecker, denn Paul Simons Lied über eine Frau mit Diamanten an den Schuhsohlen konnte mich in meinem jetzigen Zustand nicht begeistern; ich brauchte mehr Aspirin und ging in die Küche. Vom Toaster blickte mir mein Spiegelbild entgegen. Ein interessanter Farbton aus lila, gelb und grün überzog meine Stirn.
Ich torkelte in die Dusche und ließ das heiße Wasser auf meinen Körper wirken. Allerdings lief das Wasser in meiner Wohnung nur genau vier Minuten zweiunddreißig Sekunden heiß aus der Leitung, daher hatte ich lernen müssen, effizient zu duschen. Menschenwürdige Duschzeiten waren ein entscheidendes K
riterium für meine zukünftige Bleibe.
Ich drehte das Wasser ab, stieg aus der Dusche und wischte den beschlagenen Spiegel mit einem Handtuch trocken.
Oh Gott!
Das hätte ich lieber lassen sollen. Die Gelb- und Grüntöne auf meiner Stirn waren beim Duschen irgendwann verschwunden; man sah jetzt nur noch Dunkellila und Schwarz und eine dicke Beule. Für eine Beerdigung war die Farbe genau richtig.
Ich war ein bisschen erleichtert, dass ich eine Beule hatte. Irgendwo hatte ich nämlich einmal gelesen, dass sich bei einer Kopfverletzung eine Beule bilden musste; wenn nicht, hieß das, dass man innerlich eine Hirnblutung hatte.
Ich brauchte mir also keine Sorgen zu machen.
Meine Haare waren nass und klebten am Kopf, und auf einmal kam mir eine Superidee. Ein Pony musste her. Ein Pony würde alle Probleme lösen. Ich hätte einen neuen Look und die Beule wäre verdeckt. Problem gelöst.
Ich schnippelte an ein paar Strähnen herum, bis ich mit meinem neuen Erscheinungsbild zufrieden war. Dann schminkte ich mich sorgfältig und föhnte mir die Haare. Die blauen Flecken waren trotz aller Mühen noch zu sehen, aber da war nicht viel zu machen.
Ich zuckte zusammen, als ein lautes Donnerrollen meine Fensterscheiben zum Klappern brachte. Als ich das Geräusch von splittendem Glas hörte, suchte ich die ganze Wohnung ab und fand schließlich Scherben auf dem Schlafzimmerfußboden. Durch den Donner waren ein paar Scheiben aus dem Fensterrahmen gesprungen, es klaffte also eine Riesenöffnung in meinem Schlafzimmer. Immerhin frische Luft.
»Na super. Wusstest du nicht, dass ich für so was heute keine Zeit habe?«, fragte ich Gott. Nicht, dass er mir helfen würde, schließlich hatte ich ihn eine Weile nicht besucht.
Ich fegte die Scherben zusammen und klebte mit Isolierband einen Müllbeutel über die Öffnung. Da ich nun schon einmal beim Saubermachen war, machte ich gleich auch noch mein Bett, saugte den Boden und stellte die Dosen mit Roten Beten, Lachs und Sauerkraut in alphabetischer Reihenfolge in meinen Vorratsschrank. Diese Dosen waren bereits bei meinem Einzug hier gewesen und ich hatte schon beschlossen, sie den Abrissarbeiten zu überlassen, wenn ich auszog. Aber das war ja kein Grund, unordentlich zu sein. Oder trödelte ich vielleicht absichtlich herum? Um zehn durchwühlte ich meinen Kleiderschrank nach dem Beerdigungskostüm. Dieses schwarze Kostüm hatte ich auch bei der Beerdigung meines Vaters getragen und plötzlich überwältigte mich eine solche Traurigkeit, dass ich es gleich wieder in den Schrank stopfte und etwas anderes suchte.